Donnerstag, 12. Dezember 2013

„Bitte warten Sie hier!“ sagte ich zu einem Blinden und ließ ihn an einer Ecke im Bahnhof allein. Ich wollte ihm das Gewühl ersparen auf dem Weg zum Schalter, zur Auskunft, zur Fahrplantafel.

Zurückkehrend sah ich ihn schon von weitem stehen, während die Menschen an ihm vorüberhetzten und ein Gepäckkarren einen Bogen um ihn fuhr.
Er stand ganz still, der Blinde, und auch ich musste ein paar Augenblicke stehenbleiben. Ich musste sein Gesicht ansehen.
Die Schritte um ihn her und die unbekannten Stimmen und all die Geräusche eines lebhaften Verkehrs, die schienen für ihn keine Bedeutung zu haben. Er wartete. Es war kein Zweifel auf dem Gesicht, dass ich etwa nicht wiederkommen könnte. Es war ein wunderbarer Schein der Vorfreude darin: er würde bestimmt wieder bei der Hand genommen werden.

Ich kam nur langsam los vom Anblick dieses eindrucksvoll wartenden Gesichtes mit den geschlossenen Liedern; dann wusste ich auf einmal: So müsste eigentlich das Adventsgesicht der Christen aussehen!

aus: Hoffsümmer, Kurzgeschichten Bd. 2

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12. Dezember
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